Eröffnungsrede

Gehalten am 15.10.2011 in Grothenn's Gasthaus, Bremen-Arbergen von Jo Schumacher

Liebe Freunde des Boogie Woogies,
von Oscar Wilde stammt der Ausspruch: "Menschen mit einer neuen Idee gelten solange als Spinner, bis sich die Sache durchgesetzt hat."
Wir sind gerne Spinner gewesen vor zwei Jahren, als wir den German-Boogie-Woogie-Award aus der Taufe hoben, weil wir es als nötig und überfällig ansahen, einen solchen Preis zu gründen. Wir wollten damit einen in unseren Augen unerklärlichen und ärgerlichen Misstand in der Kulturlandschaft Deutschlands beheben.
Es gab nämlich - so das Ergebnis unserer Recherche - erstaunlicherweise keinen Musikpreis, der den Fokus auf die lebendige und vielgestaltige Boogie Woogie-Szene in Deutschland setzte und würdigte.

Nun sagte schon Kurt Tucholsky: "Das Ärgerliche am Ärger ist, dass man sich schadet, ohne anderen zu nützen."
Und so lag die Idee für den Pinetop quasi vor uns, Viona, Thomas und mir auf der Straße. Wir brauchten sie nur aufheben. Und nach weiteren Mitstreitern zu suchen. Die fanden wir nach kurzer Suche in Andreas Merk und Uwe Esselmann. Dann musste noch ein Name für das Kind her. Sehr schnell kamen wir dabei auf PINETOP, zurückgehend auf Clarence PINETOP Smith, der am 29. Dezember 1928 seinen "Pinetop's Boogie Woogie" aufnahm, einen der ersten und bis heute wesentlichen Hits des Boogie Woogie. Jeder Boogiespieler weltweit beherrscht mindestens eine Version dieses Stückes.
Übrigens: Wenn Sie einen Boogiepianisten erfreuen möchten, fragen Sie ihn bitte nicht nach dem Entertainer von Scott Joplin (außer der Pianist heißt zufällig Gottfried Böttger) oder nach Blueberry Hill von Fats Domino, sondern fragen Sie schlicht: "Pinetop's Boogie"? Das reicht, um ein Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern.
Beim Pinetop's Boogie handelt es sich um die erste Schallplatte, die den Namen Boogie Woogie im Titel trug. Und die daher mit Fug und Recht als Grundstein der musikalischen Gattung Boogie Woogie bezeichnet werden darf. Gleichwohl war in noch früheren Zeiten auch schon von Barrelhouse- und Bluespianisten Boogie gespielt worden, aber auf Schallplatten eben noch nicht unter dem Titel "Boogie Woogie".
Den großen Charts-Erfolg seines Boogie Woogies sollte Clarence Pinetop Smith leider nicht mehr erleben; als zufälliges Opfer einer Schießerei in der Chicagoer Unterwelt starb er mit nur 24 Jahren an einer verirrten Kugel und wurde wie Mozart auch in einem Armengrab beigesetzt. Doch posthum gelangte sein Boogie Woogie 10 Jahre später zu Weltruhm, als das Orchester Tommy Dorsey mit einer abgeänderten Big Band-Fassung der Komposition 1938 einen Millionenhit landete.
Aus jener Zeit stammt auch das Notenblatt mit der Klavierversion von Dorseys Boogie. Wie groß der Impuls, den Pinetop Smith der Musikwelt gegeben hat, gewesen ist, lässt sich allein anhand der verschiedenen Coverbilder der Notenausgaben nachvollziehen, die Sie sich nachher in der Pause einmal an unserem Exponatentisch anschauen können. Ebenso eine kleine Auswahl vorhandener Schellackplatten, LPs und Singles, die auf ihre Weise die Bedeutung von Pinetop's Boogie Woogie von damals bis heute dokumentieren. Dort finden Sie auch eine originale Zeitungswerbung aus den 30erJahren für eine Erzählung über den tragischen Tod und das kurze Leben von Pinetop Smith "I saw Pinetop spit blood" - ich sah, wie Pinetop Blut spuckte. Der Piano-Boogie gelangte in den 30er und 40er Jahren zur Vollendung in der Musik von Albert Ammons, Pete Johnson und Meade Lux Lewis. Was Goethe, Schiller und Lessing für die Welt der Literatur bedeuten, sind Ammons, Lewis und Johnson in der Welt des Boogies. Ammons und Lewis waren mit Pinetop Smith befreundet gewesen und hatten mit ihm in der Prairie Avenue in Chicago in einer Art WG zusammen gewohnt, sich gegenseitig für den Boogie begeistert und darüber ausgetauscht.
John Hammond, ein einflussreicher Impressario, Veranstalter und Musikkritiker, brachte die beiden schließlich mit einem weiteren Meister des Boogie zusammen: Pete Johnson aus Kansas City. Die vollendete Art ihrer Boogies fußte zum einen auf der Tradition der Barrelhousepianisten, zum anderen auf dem Swingrhythmus, - beides führten sie zu einer hypnotischen wirkenden Mischung zusammen. Mit ihren ausgezeichneten pianistischen Fertigkeiten, ihrer Leichtigkeit, Sensibilität und Lebensfreude sind bis heute beispiellos, bieten Orientierung und sind Kraftquelle für Boogiepianisten weltweit. In zwei aufsehenerregenden Konzerten in der New Yorker Carnegie traten sie in der Konzertreihe "From Spiritual To Swing", die John Hammond veranstaltete mit dem Boogiesänger Big Joe Turner auf (dessen Andenken Thomas Aufermann auch mit seinem Gesang lebendig hält! Das werden wir nachher noch hören!). Mit den Auftritten in der altehrwürdigen Carnegie Hall wurde die ehemalige Kneipen- und Bordellmusik salonfähig. Die Begeisterung des Publikums bei den Konzerten in New York muss Zeitungsberichten zufolge so groß gewesen sein, dass einige Zuschauer auf die Kronleuchter kletterten und wieder heruntergeholt werden mussten.
Da wir keine Kronleuchter haben, aber uns um Kompensation bemühen , haben wir für später dort vorne eine Tanzfläche bereitgestellt. Denn so ist das mit dem Boogie Woogie - man kann beides: ihn hörend genießen, aber auch tanzend ausleben.
Boogie Woogie fällt ins Herz und geht ins Bein, er ist die andere Seite des Blues, die sagt: nimm das Leben ernst, aber auch nicht zu ernst, es hat auch immer diese heitere und lebensbejahende Seite. Wir verstehen die immer größer werdende Resonanz auf den German-Boogie-Woogie-Award PINETOP als erfreulichen Beleg für den wachsenden Bekanntheitsgrad unseres Awards. Und als berechtigte Hoffnung, dass wir im Sinne Oscar Wildes im Verlaufe der Zeit immer weniger als Spinner angesehen werden, - wobei - das hat auch etwas! - haben wir festgestellt! ;-) Der PINETOP weiß sich wesentlich der Pflege des klassischen Piano-Boogie Woogie und Blues verpflichtet.
Wir bemühen uns nach bestem Gewissen und Kräften um Vertrautheit mit der deutschen Boogie Woogie Szene und sind stets um aktuelle Kenntnis bemüht. Hierzu dienen uns Besuche von Konzerten, Sichtung von Filmen, die im Internet veröffentlicht werden, CDs u. dgl. mehr. Auch Empfehlungen durch Dritte haben wir dankend entgegengenommen und in unsere Überlegungen mit einbezogen.

Nun wünsche ich Ihnen und Euch - auch im Namen meiner Mitstreiterin und meiner Mitstreiter - viel Spaß beim weiteren Verlauf des Abends!